Warren – der Weihnachtsengel

Es ist schon komisch. Da man es in der heutigen Gesellschaft nicht mehr gewöhnt ist, dass einem ohne erwartete Gegenleistung geholfen wird, zweifelt man sofort alles Gute an, was einem einfach so, ohne Wenn und Aber, geschieht. Kennt ihr das? Da will einem Jemand helfen, einfach so, ohne dass man ihn darum gebeten hat, und was macht man? Man fragt sich die ganze Zeit, wo bei der ganzen Sache eigentlich der Haken ist und ob sich hinterher nicht doch noch eine Bedingung auftut.

 

So geschehen heute.

 

Nach unserer schrecklichen Nacht in Florida City wollen wir heute Morgen nur noch weg und endlich in Richtung Key West fahren. Das Wetter ist alles andere als einladend, es stürmt und regnet, der Himmel ist tiefschwarz, einzig die Temperaturen sind unverändert warm. Über die einzelnen Keys fahren wir also gen Süden, jede Insel schöner als die andere, palmengesäumte Buchten, türkiser Atlantik, gesprenkelt mit vereinzelten weißen Segelbooten. Dazwischen hübsche Restaurants, malerische Häfen und atemberaubend lange, schnurgerade Brücken über das Meer. Wahnsinn. Das es von Florida City bis Key West noch einmal 111 Meilen sind, überrascht uns – in den Filmen ist man doch immer im Handumdrehen von Miami in den Keys? Nun, der Weg war das Ziel, wir lassen uns Zeit, fahren ganz langsam, um die ganze Schönheit der Inseln zu bestaunen.

 

In Key West ist es dann wie erwartet schwer, eine günstige Übernachtung zu finden. Aufgrund der bevorstehenden Weihnachtsfeiertage sind die meisten hübschen kleinen Hotels bereits ausgebucht oder schlicht und ergreifend zu teuer. Dank Tripadvisor haben wir schließlich noch eine Empfehlung für Angelinas Guest House. Unser letzter Versuch also, nach dem wir zahlreiche Unterkünfte erfolglos abgeklappert haben.

Wir werden super herzlich empfangen. Laut Internet soll es hier Doppelzimmer mit geteiltem Bad für 69$ geben. Gemessen an den Key West-Preisen von im Schnitt 150$ pro Nacht, ein Schnäppchen. Das kleine hübsche, im Kolonialstil gebaute gelbe Holzhaus ist komplett weihnachtlich dekoriert. Wir haben Glück. Wir bekommen sogar ein Upgrade und ein Zimmer mit eigenem Bad. Mit Frühstück inklusive. Die Empfehlungen von Tripadvisor haben nicht zuviel versprochen – das Zimmer ist ein Traum! Ganz im Landhausstil mit Patchwork-Decken und –Kissen, ist es eine willkommene Entschädigung für die vergangene Horror-Nacht. Nach dem wir uns häuslich eingerichtet haben, mache ich mich auf die Suche nach einer Reinigung, Wäsche waschen ist dringend notwendig.

 

Die angegebene Reinigung, zu der ich eine halbe Stunde gelaufen bin, entpuppt sich als Waschsalon und ich stehe völlig verblüfft vor dessen Türen. Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Da ich nur Kreditkarten dabei habe und kein Bargeld, kann ich nicht einmal Geld abheben um Waschmittel zu kaufen und die Geräte zu bedienen. Mist. Ich versuche André über das Handy zu erreichen, ohne Erfolg. Jetzt unverrichteter Dinge wieder zurücktraben ist auch doof. Und was nun?

 

Plötzlich werde ich von der Seite von einem Mann um die 40 angesprochen: Ob er mir helfen könne? Ich zeige auf meine Klamottentüten und deute an, dass ich eine Reinigung suche. Er grinst nur, die professionelle Reinigung hat seit 2 Stunden geschlossen. Da müsse ich schon selbst waschen. Ich erkläre, dass ich kein Geld dabei habe und außerdem nicht weiß, wie die Maschinen funktionieren. Er lächelt nur noch breiter und geht kommentarlos einen Geldschein wechseln. Dann drückt er mir 5$ in Quartern in die Hand und erklärt mir die Maschine. Außerdem schenkt er mir noch sein Waschmittel.

Nach dem wir mit vereinten Kräften die Maschine in Gang gebracht haben, kommen wir während der 25 Minuten Waschzeit ins Gespräch. Warren kommt ursprünglich aus Delaware, wohnt aber in Key West wegen des angenehmen Klimas, der netten Menschen und der geringen Kriminalität. Er hält Yachten in Schuss und scheint damit gut durchzukommen. Wir quatschen und quatschen, er erzählt vom amerikanischen Weihnachten, von Truthahn mit Kartoffelbei, von den horrenten Preisen in Florida und Key West (ein 1-Zimmer-Appartement kostet hier ab 800$ im Monat!) und die Zeit vergeht wie im Flug. Die Wäsche ist fertig, und nun erklärt er mir noch den Trockner, gibt mir dafür nochmals Geld und zieht mir extra noch 2 Weichspülertücher für nochmals 2$ aus dem Automaten. Ich kann es kaum glauben, wie Jemand einfach so so nett sein kann. Ich frage ihn nach dem nächsten ATM bzw. bitte ihn, kurz zu warten, damit ich ein kleines Dankeschön für ihn holen kann, doch er winkt nur ab: „It`s christmas“! Das soll man doch Gutes tun. Mir fehlen die Worte und ich habe einen dicken Kloß im Hals. Das ist ja sooo nett. Wir unterhalten uns noch, bis die Wäsche fertig ist und gehen dann auseinander. Ich kann es immer noch nicht fassen, so etwas würde einem in Deutschland niemals passieren. Ich bedanke mich überschwänglich bei ihm und sage mindestens hundertmal „Thank You so much“ und „Merry Christmas“.

Zurück im Hotel hat André sich schon Sorgen um mich gemacht, immerhin war ich fast 1 ½ Stunden weg. Dafür ist die Wäsche sauber und trocken und ich erzähle ungläubig meine Geschichte. Als wären das nicht genug der guten Dinge, veranstalten unsere Hotel-Eigentümer heute Abend noch eine Party, zu der wir, als Gäste, kostenlos eingeladen sind. Die Party wird insgesamt in 6 kleineren historischen Hotels in der Stadt durchgeführt, normalerweise zahlt man 25$ pro Person und kann dann zwischen den Lokalitäten hin und her springen und so viel Essen und Trinken wie man möchte. Da wir Hausgäste sind, dürfen wir umsonst teilnehmen und das Buffet plündern. Es gibt Käse und Obst, Törtchen, leckeres Brot, eine Art Hackbraten, mmmhhhhhhhhh. Unbeschreiblich ist auch eine Art Weihnachtsbowle, Wassail, die warm gereicht wird, nach Bratapfel duftet und nach Apfel, Zimt, Kardamom, Nelken, Cranberry und Ingwer schmeckt. Ein Rezept der aus der Schweiz stammenden Familie unserer Hauswirtin. Offensichtlich dient die Art der Veranstaltung auch der Eigenwerbung, denn das Hotel mit der hübschesten Dekoration gewinnt einen Preis. So sitzen wir nun den ganzen Abend am Pool, der kleine Wasserfall plätschert, über uns wiegen sich die Palmen sanft rauschend im Wind, der Vollmond lächelt gütig auf uns herab und leise Weihnachtsmusik ertönt aus den Lautsprechern. Kerzen beleuchten die einzelnen Tische und vereinzelt Kommen und Gehen die Gäste. Ehe wir unsere Teller leer gegessen haben, werden wir auch schon wieder von unseren lieben Vermietern mit Nachschub versorgt und als sich die Veranstaltung schließlich dem Ende nähert, dürfen wir auch noch sämtliche Buffet-Reste vertilgen bis unsere Bäuche zu platzen drohen. Ich schaue glückstrunken in den nun wieder sternenklaren Himmel über mir und bin der festen Überzeugung, dass ein solcher Tag wie heute, der Vollkommenheit des Lebens so verdammt nahe kommt, wie ganz wenig Anderes. Für solche Momente haben wir uns auf den Weg gemacht. Für solche Augenblicke leben wir. Wir sind angekommen. Unterwegs. In der Ferne.

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Kommentare: 2
  • #1

    C & J & "J" the dog (Sonntag, 19 Dezember 2010 20:28)

    oh man...
    Was für eine schöne Weihnachtsgeschichte.

  • #2

    ines (Mittwoch, 22 Dezember 2010 10:43)

    Hallo Ihr zwei,
    Eure Berichte erzeugen immer mehr Fernweh und es macht irre Spaß, Euch lesender Weise zu begleiten. Auf daß Ihr noch viele solcher Tage mit spannenden Menschen erlebt :-)
    LG aus der kalten Heimat