Transhimalaya - Unterwegs auf dem Dach der Welt

Kapitel 1: Das große Warten

 

Wer von Nepal aus nach Tibet reisen will, hat es schwer. Individuelles Reisen ist grundsätzlich ausgeschlossen, da nur der ein Visa bekommt, der Teil einer geführten Gruppe ist. Dann ist Tibet auch gerne immer mal wieder einfach geschlossen, wir haben Australier kennengelernt, die bereits 3x da waren und jedes Mal nicht einreisen durften. Tja und dann ist da die Bürokratie. Ständig gibt es neue Einschränkungen der chinesischen Botschaft. Mal kostet das Visa 115 US$, dann wieder nur 60 $. Mal ist es abhängig davon, ob man Franzose ist oder einer anderen Nationalität angehört. Franzosen müssen nämlich vor ihrer Einreise nach Tibet mindestens eine Woche in Kathmandu verbracht haben. Was bleibt ist der „Good will“ der Chinesen – ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass es hier schlicht und ergreifend auch gerne mal nach Willkür und persönlichem Empfinden geht. Kurz gesagt, ohne einen chinesisch aussehenden Nepalesen, der die Praktiken und Taktiken der chinesischen Botschaft genau kennt, ist man aufgeschmissen. Und wie durch ein Wunder, hatten wir den perfekten Mann in petto. Nach Abgabe unserer Reisepässe, dem Ausfüllen des Visa-Antrages (inkl. der kompletten Firmenanschrift – und BLOß KEINER ANGABE unserer wirklichen Berufstätigkeit – Mitarbeiter eines Presseunternehmens bekommen auf keinen Fall ein Visum!) hieß es also nur noch Warten und Bangen. Würden wir unser Visa bekommen? Oder sollten auch wir wieder unverrichteter Dinge abreisen müssen? Wir wussten, im März und Mai würde Tibet eh geschlossen sein, dafür im April aber offen. Also: Tibet, ja oder nein? 4 ganze Tage hat es gedauert, das Zittern. Dann war der Antrag für das Gruppenvisum genehmigt, allerdings mit falscher Faxbestätigung aus Lhasa. Wieder ein Tag mehr Warten in Kathmandu und dann endlich die Erlösung! Es geht wirklich nach Tibet! Wir haben es mit dem ersten Anlauf geschafft. Wir fahren auf`s Dach der Welt.

Unser Visum!
Unser Visum!

Kapitel 2: Der lange Weg der An- und Einreise

 

5 ½ Stunden sind es von Kathmandu bis zur chinesischen Grenze. 5 ½ Stunden schlechte Straßen im Minivan. Wir werden am vergangenen Sonntag um 05:30 Uhr am Hotel abgeholt und verlassen Kathmandu mit unseren 3 australischen Mitreisenden sowie zwei Dänen in Richtung Nordosten und Bhaktapur. Völlig übermüdet fallen uns immer wieder kurz die Augen zu, aber nur bis das nächste Schlagloch kommt und wir mit den Köpfen gegeneinander knallen. Nach 2 Stunden ist Frühstückspause. Mit Blick auf den Himalaya in der Morgensonne sitzen wir bei gefühlten Minusgraden bei Toast und Marmelade und bekommen die letzten Sicherheitshinweise. Hat auch ja jeder sämtliche Literatur über Tibet in Kathmandu zurückgelassen? Wehe an der Grenze taucht irgendwo ein Bild des Dalai Lama oder ein Lonely Planet China auf. Dann kann man die Einreise direkt vergessen und alle Visa-Mühe war umsonst. Die Chinesen dulden kein Buch, keinen Text, kein Foto, das Tibet irgendwie als unabhängiges Land betitelt. Dementsprechend wird die Grenzkontrolle ausfallen. Also lieber jetzt noch die Gelegenheit nutzen und einschlägige Literatur bei unserem nepalesischen Guide zurücklassen. Brav wie wir sind, haben wir unser GEO Special Himalaya gleich mal im Hotel zurückgelassen, man weiß ja nie. Und einen Reiseführer haben wir zum Glück gar nicht erst gekauft. Und hat auch ja keiner aus einer Laune heraus ein „Free Tibet“ T-Shirt in der Tasche? Wir sind jetzt schon genervt. Das kann ja heiter werden. Von der Frühstückspause sind es noch einmal 3 Stunden. Fruchtbare Täler, reißende Flüsse, Terrassenanbau und der höchste Bungee-Jump machen die Fahrt zum Glück kurzweilig. Gegen 11:30 Uhr sind wir endlich da. Raus aus dem Fahrzeug, über die Grenze müssen wir zu Fuß gehen. Bereits jetzt sind wir auf knapp 2.000 Höhenmetern und jeder Schritt mit unseren Kraxen wird zur Qual. Erste Station die Ausreise. Bereits hier vergehen rund 45 Minuten, ehe wir den Ausreisestempel im Pass haben. Uns entgegen kommt eine riesige chinesische Reisegruppe – Tommy Jaud würde sagen, die Goretex-Apachen – da soll noch mal Jemand sagen, die Deutschen seien überausgerüstet. Mit dem Ausreisestempel im Pass geht es weiter bergauf. Wie passieren ein Tor und dann eine Brücke über dem Abgrund. Die Brücke verbindet 2 Welten: Nepal und China. Darauf: Militär! Ja kein Foto machen, hat man uns eingebläut. Mitten auf der Brücke die nächste Passkontrolle. Wir müssen uns brav wie Erstklässler in einer Reihe aufstellen, als der Wachmann das Gruppenvisum mit unseren Pässen abgleicht. Nur nicht Lächeln. Mit ernster Miene studiert er jeden Pass geschlagene 5 Minuten, ehe er uns mürrisch weiterwinkt. Weitergehen, nicht stehenbleiben und auf den nächsten Warten. Auf der anderen Seite der Brücke: China. Unübersehbar. Plattenbauten, Fahnen und… noch mehr Militär. Wir stellen uns zur ersten Gepäckkontrolle an. Durchleuchtung. Danach: Filzen. Jeder Zentimeter unseres Rucksacks wird begutachtet, sämtliche Sachen werden durchgesehen, jedes Buch durchgeblättert, jede Postkarte angesehen. Ihr wisst, ich sammle Postkarten, die beiden Chinesen haben also jede Menge zu tun. Nach dem auch noch die letzte Unterhose gefilzt wurde, geht es an die Passkontrolle. Der Beamte mit verkniffenem Mund tippt irgendetwas in seinen Computer. Jetzt nichts Falsches sagen. Puhhh, geschafft. Noch ein letztes Mal Gepäck durchleuchten, dann sind wir drin. Tibet. Oder doch China?

In Nepal ist noch alles grün...
In Nepal ist noch alles grün...

Kapitel 3: Dünne Luft und viele Gebetsfahnen

 

Unser tibetischer Guide, Gyaltsen (gesprochen: Jentsen), nimmt uns in Empfang. Er macht einen netten Eindruck. Der Minibus hat schon bessere Tage gesehen, erfüllt aber seine Pflicht. Direkt im ersten Ort, Zhangmu, ist Mittagspause. Wir kriegen nicht viel runter. Ein paar gebratene Nudeln, dann geht es direkt weiter. Die Straße ist nagelneu, der Bus kämpft sich die Serpentinen hinauf. Mittlerweile hat es angefangen zu schneien, die Gipfel um uns herum liegen in einer dichten Wolkensuppe. Zum ersten Mal auf unserer Weltreise und vor allem, seit über einem Jahr sehen wir Schnee! Geplant war die erste Übernachtung heute eigentlich in Nyalam, auf 3.700 Höhenmetern. Unsere Gruppe hat jedoch direkt beschlossen, weiterzufahren. Bis Tingri. Von dort soll man mit etwas Glück im Licht der aufgehenden Sonne den Mount Everest sehen können. Wenn das kein Anreiz ist, sich noch weitere 180 Kilometer im Bus den Po plattzusitzen. Die Weiterfahrt heißt jedoch auch, dass wir direkt heute die ersten beiden hohen Pässe queren müssen, und die sind gleich Mal über schlappe 4.500 und 5.000 Meter hoch. Und das, wo wir frisch heute Morgen von 1.500 Höhenmetern kommen. Mit schwant jetzt schon Schlimmes. Als wir das öde Nyalam sehen, können wir uns zu unserer Entscheidung jedoch nur beglückwünschen. Einen tristeren Ort habe ich selten gesehen. Dazu Schneematsch und Schneeregen – bloß schnell weiterfahren. Je höher wir kommen, desto klarer wird die Sicht, desto blauer der Himmel und desto hinreißender die Landschaft. Erinnerungen an den Altiplano werden wach. Rote Berge, Kargheit und eisiger Wind – dass uns der Atem stockt. Bibbernd machen wir am Lalung La Pass schnell ein Foto, unsere erste 5.000er-Überquerung. Erst nach Sonnenuntergang erreichen wir Tingri, ein kleines mongolisch anmutendes Dorf, mitten auf dem Hochplateau. Unsere Zimmer, in einer kleinen Baracke, geschmückt mit Gebetsfahnen, ohne Strom, ohne Licht, ohne Heizung, ohne Bad. Wir kramen die dicksten Wintersachen aus dem Rucksack, wer hätte das gedacht, dass wir diese auf unserer Reise noch einmal brauchen würden, und machen uns auf den Weg zum Gemeinschaftsraum. Dort sitzen bereits alle um den warmen Ofen herum und nippen an dampfenden Tassen köstlichen Yasmin-Tees. Das belebt die kalten Glieder. Die gesamte tibetische Familie des Gasthauses, alle haben sich eingefunden. Die Frauen mit langen schwarzen geflochtenen Zöpfen, ihnen scheint die Kälte nichts mehr auszumachen. Ein unwirtliches Leben, hier auf 4.300 Höhenmetern. In dicke Decken gehüllt liegen die schlafenden Kinder neben uns, die Wangen rot von Erfrierungsspuren. Mit unter der Decke die Hauskatze. Wir müssen schmunzeln. Jentsen bestellt uns heiße Suppe und gebratenen Reis, dazu noch mehr Tee. Der Raum ist hübsch tibetisch dekoriert. Überall hängen Poster und Fotos von internationalen Besuchern, die hier bereits eine Nacht verbracht haben. Auch die Indonesier sind wieder da – diese sollten eigentlich mit in unserer Reisegruppe sein, hatten sich in letzter Minute dann aber doch für das Everest-Basecamp entschieden. Von hier aus werden sie also morgen früh in Richtung Everest Basislager aufbrechen. Wir gehen zeitig zu Bett, die Höhe macht sich schon jetzt bemerkbar. Im Zimmer zünden wir uns 2 Teelichter an und kuscheln uns unter 5 Decken. Mal sehen, wie so eine Nacht bei Minus 10° wird.

Der erste Fünftausender-Pass (5.050) Lalung La
Der erste Fünftausender-Pass (5.050) Lalung La

Kapitel 4: Altitude sickness auf 5.248 Metern

 

Der Morgen ist glasklar. Wir haben schlecht geschlafen. Die halbe Nacht habe ich über dem Loch im Outdoor-Klo gehangen. Sämtliche Erscheinungen der Höhenkrankheit, bereits bekannt aus Bolivien, haben uns wieder eingeholt. Das bedeutet: Höllische Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Dazu nehme man ein Außenklo mit nur zwei Löchern nebeneinander im Erdboden, über denen man bei Minus 10° mitten in der Nacht Stunden hängt. Das sind Erfahrungen, die die Welt braucht. Mühsam quälen wir uns im Morgengrauen unter den Decken hervor. Um einen klaren Kopf zu bekommen, laufe ich mit der Kamera ein Stück durch die Gegend. Die Morgenstimmung ist gigantisch! Die Luft zwar wie Eis, sofort tränen mir die Augen, dafür ist die Sicht gigantisch. Das kleine tibetische Dorf leuchtet mit seinen weiß-getünchten Häusern, dazu die bunt im Wind flatternden Gebetsfahnen und die umliegenden Berge. Ein Traum. Nur der Everest hängt als einziger Gipfel in einer dicken Wolkenwand. Wir versammeln uns zum Frühstück, doch so recht bekommt niemand etwas runter. Wir beratschlagen, wie es heute weitergehen soll, die kommende Nacht soll eigentlich in Lhatse, wieder auf über 4.000 Metern liegen. In einer kurzangelegten Gruppenabstimmung wird kurzerhand entschieden, um den Symptomen der Höhenkrankheit etwas entgegenzuwirken, direkt weiter bis Shigatse zu fahren, welches wiederum „nur“ auf 3.800 Metern liegt. Das sind nur 200 Kilometer mehr, und da wir bereits gestern weiter als gedacht gekommen sind, sparen wir so am Ende einen ganzen Tag, der uns in Lhasa zu Gute kommen wird. Flugs wird das Auto beladen und ab geht die Post. Nach einer geschlagenen Stunde Fahrt wirken auch endlich die Kopfschmerztabletten und endlich können wir die atemberaubende Landschaft um uns herum etwas genießen. Immer wieder queren wir weitere tibetische Ortschaften, der Himmel ist tiefblau und die winzigen Häuschen heben sich dagegen ab wie leuchtende Schneeflocken. In einem Dorf legen wir einen kurzen Stopp ein und sofort sind wir umzingelt von Tibetern. Offensichtlich bekommen diese nicht oft Touristen zu Gesicht, denn wir sind die Sensation im Ort. Fensterläden öffnen sich, Frauen und Kinder strömen auf die Straße, um uns nach ein paar Juan zu fragen. Nur schwer können wir uns wieder losreißen. Dann immer wieder Straßenpassagen, endlose Weite, Panoramen, wie gemalt, die uns in Staunen versetzen. Gegen Mittag erreichen wir den höchsten Pass unserer Himalaya-Querung: Gyatso La, auf geschlagenen 5.248 Höhenmetern. Dies ist definitiv der höchste Punkt, den wir in unserem bisherigen Leben besucht haben. Wie ein Faustschlag in die Magengrube meldet sich die Höhenkrankheit sofort wieder zurück. Matt und schwindelig steigen wir aus dem Auto, der eisige Wind brennt wie Nadelstiche auf der Haut. Der Pass ist mit tausenden Gebetsfahnen geschmückt, wir stellen uns nur schnell neben das Schild mit der Höhenangabe. Wenigstens ein Erinnerungsfoto. Und dann nur schnell weiterfahren. Runter von der Höhe. Damit es uns endlich wieder besser geht.

Ein Leben auf dem Dach der Welt ist schwer vorstellbar
Ein Leben auf dem Dach der Welt ist schwer vorstellbar

Kapitel 5: Klostermauern und Mittagessen mit ein paar Mönchen

 

Shigatse bringt Linderung. Es sind zwar nur ein paar Hundert Höhenmeter aber es geht uns schlagartig besser. Sollte es auch, denn am nächsten Tag steht ein umfangreiches Sightseeing-Programm auf der Tagesordnung. Vom Hotel aus laufen wir zunächst in Richtung Tashilunpo Monastery. Die Straßen sind… chinesisch. Anders kann man es nicht sagen. Shigatse ist fest in chinesischer Hand. Der Charme Tibets geht hier Stück für Stück verloren. Sarah, Trudy und Shayne, die Australier, erzählen uns von ihrem gestrigen Abendspaziergang durch die Stadt. Die Armut ist hier so groß, dass einem die Kinder das Essen aus den Händen reißen und sich an einen klammern. So etwas haben selbst wir noch nicht erlebt. Vor den Klostermauern spulen Einheimische ihr Gebetszeremoniell ab. Sie werfen sich immer wieder auf den Boden, stehen auf, Beten, das Ganze immer wieder in der gleichen Reihenfolge. Am Eingang wird Butter verkauft, als Ersatz für Kerzenwachs. Jentsen erzäht uns eine ganze Menge über das Kloster, welches im Jahre 1447 vom ersten Dalai Lama errichtet wurde und der Sitz des Panchen Lamas ist. Neben uns läuft eine Fehde zwischen Mönchen und Besuchern. Das passt so gar nicht zur Ruhe des Buddhismus. Zum Glück entschädigt das Kloster für die Architektursünden Shigatses. Mönche wandeln umher, alte Frauen umrunden mit ihren Gebetsmühlen die Stupas. Wir lernen, dass das eigentliche religiöse Oberhaupt des Buddhismus der Panchen Lama ist, nicht der Dalai Lama. Letzterer kümmert sich eigentlich in erster Linie um die Politik. Das wiederum erklärt, warum Bilder des Panchen Lama bei Chinesen durchaus erlaubt sind. Durch die verwinkelten Gassen gelangen wir zu immer neuen Kapellen mit wundervollen vergoldeten Buddha-Statuen. Einer ist so groß, dass er locker an die 15 Höhenmeter misst. Davor sitzen Mönche im Schneidersitz, murmeln Mantras, meditieren und beten. Ich setze mich zu ihnen, halte einen Moment inne, um die Energie dieses Ortes zu spüren. Das ist Tibet für mich. Jentsen erklärt uns auch die 3 Säulen des Buddhismus: Ethik, Meditation und Weisheit. In manchen Kapellen befindet sich Jahrhunderte alte Literatur zum Studieren – doch auch die Neuzeit macht hiervor nicht halt: Jeder Mönch hat ein Handy und einige beobachten wir schmunzelnd, wie sie während der Andacht gerne auch mal Autorennen darauf spielen. Nach einem kurzen Besuch des örtlichen Marktes, bitten wir Jentsen uns in ein typisch kleines tibetisches Lokal zum Mittagessen auszuführen. Wir werden nahe des Klosters fündig und speisen ganz gediegen inmitten von Mönchen. Leider darf ich von ihnen kein Foto machen dafür bedeuten wir für sie anscheinend genug Gesprächsstoff und so einiges Gelächter.

Tashilunpo Monastery
Tashilunpo Monastery

Kapitel 6: Das W… ist des Müllers Lust

 

Unser dritter Tag auf dem Dach der Welt hält noch mehr für uns als die Klostermauern von Shigatse bereit. Es geht noch nach dem Mittag weiter nach Gyantse, welches glücklicherweise nur 2 Stunden entfernt liegt, dafür jedoch, trotz gegensätzlicher Behauptung von Jentsen, wieder auf knapp 4.000 Metern. Unterwegs besuchen wir einen örtlichen Müller und bestaunen, mit welch tibetischer Einfachheit hier Mehl produziert wird. Obwohl Shigatse in unserer Rangliste der hässlichsten Städte der Welt schon sehr weit vorn rangiert, schafft es Gyantse dem ganzen noch die Krone aufzusetzen. Vor unserem Hotel eine breite chinesische Schundstraße mit noch mehr Müll und Ramschläden. Zum Glück geht unser Hotelfenster auf den Innenhof und in der Ferne können wir das Pelkhor Chode Kloster sehen. Hier führt uns dann auch noch eine nachmittägliche Stipvisite hin, zum Glück sind wir fast die einzigen Touristen. Das Kloster ist umgeben von einem großen Hang, auf dem eine Art kleiner chinesischer Mauer nachgebaut ist. Wieder ein Beinahe-Weltwunder abgehakt ;-), für die große hat es nämlich aus Zeitgründen nicht gereicht. Das Kloster selbst wird dominiert von 3 Räumen, in den verschiedene Buddha-Statuen aus Holz und Gold stehen, in der Mitte ein riesiger Gemeinschaftsraum zum Beten. Links neben dem Kloster steht die riesige weiße Khumbhum-Stupa, die ebenfalls weitere Statuen beherbergt. Sofort merkt man wieder die Höhe, 4.000 Meter sind für uns anscheinend die magische Grenze, welche über Wohl- und Unwohlsein entscheidet, denn jeder Schritt ist anstrengend. So spare ich mir dann doch glattweg den Aufstieg auf die Kuppel, darum kümmert sich André um die Panorama-Aussichts-Fotos. Auf den Eingangsstufen sitzend, lasse ich mir die letzten Sonnenstrahlen des Tages auf meine kalte Nase scheinen, eine echte Wohltat. Dazu leistet mir ein kleiner tibetischer Junge Gesellschaft, der erst um mich herumschleicht und dann mit mir spielen will. Ich schenke ihm einen Kugelschreiber, den er erst neugierig in seinen kleinen Händen hin- und herdreht. Offensichtlich weiß er zunächst nichts damit anzufangen. Erst als ich in meine Handfläche eine kleine Sonne male, versteht er mich und düst selig grinsend mit dem Stift davon. Als ich 5 Minuten später wieder die Augen öffne, nach ein klein wenig vor mich hin duseln, ertappe ich ihn gerade noch, wie er mir den Stift wieder vor die Füße legt und dann schnell wegrennt. „Hey, warte“ rufe ich ihm hinterher und versuche ihm zu erklären, dass er den Stift doch behalten kann, doch er winkt nur und ist dann verschwunden. So etwas!

Gyantse Dzong
Gyantse Dzong

Kapitel 7: Wünsch Dir was!

 

Wir nähern uns Lhasa. Nur noch ein Tag Fahrt liegt vor uns. Doch dieser Tag hat es in sich. Die Nacht in Gyantse wieder durchwacht, wieder mit Kopfschmerzen. Völlig gerädert schleppen wir uns zum Frühstück. Werden wir uns je an die Höhe gewöhnen? Immerhin ist es inzwischen der vierte Tag. Die Indonesier haben uns wieder eingeholt. Nix war mit Everest-Basecamp, kein Durchkommen, die Zufahrt wegen zu viel Schnee zu gefährlich und somit gesperrt. So ist er, der Berg aller Berge. Unberechenbar. Wir brechen direkt nach dem Frühstück auf, vor uns liegen mehrere Stunden Fahrt. Sarah, die jüngste der Australier, hat sich mittlerweile zu einer echten Plage entwickelt. Wir haben noch nie, nach all unseren Wochen in Down Under, eine derartig anstrengende Person kennengelernt. Die Aussies, die sonst der Inbegriff der Lässigkeit und Unkompliziertheit sind, irgendwie scheint Sarah von einem anderen Planeten. Wer permanent um jeden einzelnen Cent feilscht, andere rumkommandiert und nur über sich selbst reden will, hat in meinen Augen nichts in einer Reisegruppe zu suchen. Shayne und Trudy, die beiden anderen Australier sehen es offensichtlich ebenso, denn die Gruppe spaltet sich immer mehr. Zu schade finden wir, hatten wir bisher doch immer ein solches Glück mit unseren Mitreisenden. Unser erster Halt für heute ist ein riesiger Staudamm. Schon von Weitem sehen wir das türkisfarbene Wasser inmitten der rotbraunen Berge und sind begeistert. Als Jentsen uns dann auch noch zu einem kleinen Aussichtspunkt voller Gebetsfahnen über dem See bringt, ist es um mich geschehen. Am Horizont die schneebedeckten Gipfel des Himalaya, über uns der stahlblaue Himmel und unter uns der türkise See – ein Motiv zu schön um wahr zu sein, wie aus dem Bilderbuch. Wir kraxeln, soweit es unsere Kondition bei der Höhe zulässt, auf den Felsen herum und sind einfach nur happy, hier zu sein. Bevor wir weiterfahren, schreibe ich dann noch einen Wunsch auf ein paar Gebetsfahnen und lasse diese direkt auf dem Pass aufhängen. Die Gebetsfahnen sind dafür da, die Wünsche in den Himmel zu tragen, sie werden der Witterung bis zu ihrem vollständigen Verfall ausgesetzt. Ein wunderschöner Brauch, der mich tief berührt.

Auf jedem Pass hängen Gebetsfahnen, die die Wünsche und Gebete in den Himmel tragen
Auf jedem Pass hängen Gebetsfahnen, die die Wünsche und Gebete in den Himmel tragen

Kapitel 8: Durch Eis und Schnee

 

Der heutige Tag geht definitiv als einer der schönsten Landschafts-Panorama-Tage unserer gesamten Reise in die Geschichte ein. Ein Traummotiv jagt das nächste. Nach dem Staudamm reihen sich endlos hohe schneebedeckte Siebentausender aneinander, schnurgerade menschenleere Straßen, eisige bis zu 5 ½ Tausend Meter hohe Gletscher, ein weiterer Pass über 5.000 Höhenmeter und schließlich, das absolute Highlight, der Yamdrok-Lake auf 4.440 Metern. Der riesige, im Umfang mehr als 250 Kilometer große See ist für uns mit Sicherheit eines der schönsten Gewässer der Erde. Ich kann mich nicht sattsehen, an seiner intensiven Farbe, geschlagene 3 Stunden fahren wir um seine riesigen Ausläufer und hinter jeder Kurve wartet ein neues Fotomotiv. Wahrscheinlich strapaziere ich die Nerven der Gruppe gehörig, als ich Jentsen zum an die 100sten Mal bitte, kurz für einen Fotostopp anzuhalten. Als dann auch noch tatsächlich die heiß ersehnten bunt geschmückten Yaks am Straßenrand auftauchen, ist es endgültig vorbei mit der Beherrschung der Gruppe. Im Freudentaumel quellen wir aus dem Minivan und nehmen die zotteligen Tiere in Beschlag. Für 5 Juan darf man Probe sitzen, das lassen wir uns natürlich nicht zwei Mal sagen. Vergessen sind all die Strapazen und Wehleiden der vergangenen Tage und wir sind uns alle einig: Dieser See ist einer der schönsten Orte auf unserem Planeten. Andächtig flüstert Trudy immer wieder: „This is the most beautiful place, I`ve ever been!”

Yak am Yamdrok Lake
Yak am Yamdrok Lake

Kapitel 9: Der Weg war das Ziel

 

Am späten Nachmittag erreichen wir Lhasa, das Zentrum des Buddhismus, der Grund für unsere Reise, und sind einfach nur schwer ernüchtert. 60% chinesische Bevölkerung haben es geschafft, dieser Stadt jeglichen Flair, jede Spiritualität auszusaugen. Da liegt sie nun vor uns, diese Stadt, wie eine verschrumpelte Rosine, breite chinesische Alleen, noch mehr Plattenbauten, lineare Militärparadenplätze, Fahnen und Soldaten so weit das Auge reicht. Bereits auf unserer Fahrt waren uns die vielen Check-Points an der Straße mit den schwer bewaffneten Militärs unangenehm aufgefallen. Doch erst hier wird uns das ganze Ausmaß der Unterdrückung der tibetischen Bevölkerung klar. Kein Wunder, dass die Tibeter die Chinesen aus tiefstem Herzen hassen. Was hier vor sich geht, grenzt an totale Überwachung und Kontrolle. Unser Hotel, im tibetischen Viertel gelegen, steht hinter einer dicken Schranke. Links und rechts davon in Glaskabinen, bewaffnete Soldaten. Minütlich marschieren an uns Patrouillen vorbei. Im Gleichschritt, bewaffnet mit Maschinengewehren und Pumpguns. Das müssen wir erst einmal verdauen und erkennen, der Weg war das Ziel. Haben wir unterwegs noch einen Hauch des ursprünglichen Tibets entdecken können, ist hier längst alles zu spät. Da hilft auch kein Potala-Palast, den wir uns zwei Tage später anschauen. Hatte ich mir hiervon die Krönung der Spiritualität erhofft, muss ich enttäuscht feststellen, dass alles nur ein riesiges Museum ist. Sicher ist es faszinierend, das Studier- oder Schlafzimmer des Dalai Lhamas zu besichtigen, dennoch ist die Geschichte, die dahinter steht, zu grausam, um dem Ganzen etwas Positives abgewinnen zu können. Ein Mann, der seit 1959 im Exil lebt, da chinesische Offiziere drohten, ihn umzubringen, weil die Tibeter um die Unabhängigkeit ihres Landes und damit die Befreiung von der chinesischen Herrschaft kämpften. Neben uns marschieren chinesische Reisegruppen im Laufschritt an uns vorbei, ganz selbstverständlich spuckend und laut schnatternd, dass einem am liebsten die Hand ausrutschen würde. Die chinesische Mentalität macht aggressiv. Und das geht nicht nur uns so. Wer nach Lhasa reisen will, sollte es also möglichst bald tun. In 10 Jahren wird diese Stadt sicher alles verloren haben, was einmal tibetisch war. Hier entstehen Shopping Malls, dort blinken Leuchtreklamen. Ein kleiner Rückzugsort ist dann vielleicht noch das Jokhang-Kloster, das religiöse Zentrum Tibets und das höchste Pilgerziel für lamaistische Buddhisten. Es beinhaltet die heiligste Statue der Provinz, den Jobo Shakayamuni. Tausende Pilger, hunderte Marktstände mit Opfergaben und Souvenirs, mitten im tibetischen Viertel. Wenn man ganz fest die Augen zusammenkneift, kann man glatt versuchen, das Militär und die Scharfschützen auf den Dächern wegzudenken.

Der Potala Palast
Der Potala Palast

Kapitel 10: Ein versöhnlicher Abschluss

 

3 Tage Lhasa liegen hinter uns. Wir haben nicht viel unternommen, die stetige Präsenz des Militärs schafft eine beklemmende Atmosphäre. Von freiem religiösen Geist kann keine Rede sein. Die Verständigung ist schwer, damit auch die Nahrungssuche. Jede Mahlzeit wird zur Herausforderung, niemand spricht Englisch, es gibt keine englischen Speisekarten und oftmals hilft nur noch der Gang in die Küche und darauf zu zeigen, was man essen möchte (wenn man angesichts der überall vorherrschenden mangelnden Hygiene nicht schon längst wieder aus der Lokalität geflohen ist). Wir haben uns im Zimmer verschanzt und darüber nachsinniert, was uns nun eigentlich schlussendlich nach Lhasa geführt hat. Eine Woche mit Unterernährung macht Sinnsuchend. Wir finden keinen triftigen Grund mehr, Lhasa laugt nur aus. Am Ende sind wir froh, als es zurück zum Flughafen geht und wir Lhasa endlich hinter uns lassen können. Die Ausreise noch einmal ein echtes Abenteuer. Bis wir im Flieger sitzen vergehen beinahe 1 ½ Stunden. Mit China Air geht es zurück in Richtung Kathmandu und nach guten 45 Minuten Flugzeit zeigt er sich dann doch noch, umrahmt von weißen Wattewolken, der Everest. Ein versöhnlicher Abschluss!

Zeigt sich zu guter Letzt doch noch: Der Mt. Everest
Zeigt sich zu guter Letzt doch noch: Der Mt. Everest

Alle restlichen Pics unserer Himalaya-Querung gibt`s hier.

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Kommentare: 1
  • #1

    Jonas (Montag, 18 April 2011 17:41)

    Geil, der Mount Everest. Faszinierendes Bild, Jana!
    Dynamo siegt 1:0 gegen Koblenz und hat theoretisch weiter Chancen auf Platz 3. Alle anderen siegten aber auch (außer Erfurt). Esswein geht nach Nürnberg, spielt also nächste Saison Bundesliga.
    Sonst ist alles klar bei mir, VW fetzt weiterhin und bald ist Ostern mit länger frei. Juhu :-) Grüße aus dem warmen Wolfsburg!

    Jonas