So

17

Apr

2011

Annapurna und Tigertatzen

Unsere zweite und letzte Woche in Nepal neigt sich dem Ende entgegen. Nach unserer Tibet-Woche haben wir endlich wieder vernünftiges Essen zwischen die Kiemen bekommen und fühlen uns nun gewappnet für unser Indien-Abenteuer. Die letzten Tage waren noch einmal spannend und erlebnisreich. Nach dem wir in unserer ersten Nepal-Woche vorwiegend die Gegend in und um Kathmandu erkundet haben, ging es die letzte Woche nun zu den etwas weiter entfernten Regionen Pokhara, Lumbini und in den Chitwan Nationalpark. Aufgrund der Straßenbedingungen bedeutete das viele Stunden Fahrtzeit, zum Glück war die Landschaft jedoch stets so abwechslungsreich, dass die Zeit im Nu verflogen ist.

Reisfelder am Wegesrand
Reisfelder am Wegesrand

Erste Station von Kathmandu aus kommend war noch am letzten Sonntag, Pokhara. Das malerische Örtchen zu Fuß des Annapurna-Massivs ist Ausgangsort für viele mehrtägige Trekkingtouren, gleichzeitig ist es jedoch auch durch sein mildes Klima und die Lage am Fewa-See ein beliebter Ferienort für Nepalesen. Für uns hieß das: Raus aus den Winterklamotten und rein in die Sandalen. Was für ein Temperaturunterschied binnen eines Tages. Waren in Lhasa noch um die 0° erwarteten uns bei unserer Ankunft Kathmandu bereits an die 30°, was sich dann die 7 Stunden Fahrzeit bis Pokhara durchzog. In Pokhara angekommen, war die Überraschung groß: Ein wunderschönes neues Hotel mit einem großen Zimmer (wenn man von der Ameisenstraße im Bad und der riesigen, 8 Zentimeter großen, Kakerlake auf dem Fußboden absieht). Was mich in Florida zu Beginn unserer Reise noch völlig aus der Fassung gebracht hätte (ihr erinnert Euch an das Kakerlaken-Intermezzo in Florida City im Motel Budget Inn?), ist für uns abgebrühte Traveller jetzt nicht mal mehr ein Achselzucken wert. Wir haben die Nacht geschlafen wie ein Stein. Am nächsten Morgen nach einem ausgiebigen Frühstück ging es dann auch direkt zum Fewa-See, wo eine wunderschöne Bootsfahrt auf uns wartete.

Unterwegs auf dem Fewa-See
Unterwegs auf dem Fewa-See

Im Licht der ersten Sonnenstrahlen des Tages gondelten wir eine halbe Stunde in Richtung Varahi Mandir-Tempel, welcher auf einer kleinen Insel mitten im See liegt. Dort erwartete uns schon ein buntes Hindu-Treiben, zahlreiche in bunte Saris gehüllte Frauen standen bereits Schlange, um Opfergaben zu bringen. Die Rückkehr aus Tibet dabei eine echte Wohltat. Überall lachte man uns freundlich an und jeder grüßte uns mit einem überschwänglichen „Namaste“. Dabei ging es weder gekünstelt zu, noch erwartete man Geld von uns, im Gegenteil, die Freude der Einheimischen, uns als Touristen zu sehen, war absolut echt und herzlich!

Varahi Mandir Tempel
Varahi Mandir Tempel

Von der anderen Seite des Sees begann unser Aufstieg zur Friedensstupa auf einer Höhe von 1.100 Metern über dem Meeresspiegel. Nach dem unser Blut noch genug rote Blutkörperchen als Überschuss der Höhenkrankheit in petto hatte, waren die Stufen für uns ja beinahe ein Kinderspiel. Sasi, unser Reiseleiter musste schon ganz schön hinter uns herschnaufen. Oben angekommen ein traumhafter Blick über den Fewa-See, nur leider ohne das vielgerühmte Panorama des Annapurna, die Berge hingen mal wieder in den Wolken. Dafür waren dutzende Paraglider unterwegs – der neue Trend in Nepal. Die Stupa (World Peace Pagoda) an sich nagelneu und blendend weiß, gebaut 1999 von buddhistischen Mönchen aus Japan.

Die World Peace Stupa
Die World Peace Stupa

Von hier stiegen wir wieder Richtung Pokhara ab, einen hübschen kleinen Hangweg mit bunten Häuschen und noch mehr freundlichen Menschen. Überall waren wir die Sensation und als wir ein kleines Bergfest anlässlich des anstehenden nepalesischen Neujahrs erreichten (2 Ziegen wurden extra geschlachtet), wurden wir spontan eingeladen, mitzufeiern. Wir wurden in die Mitte genommen und bekamen einen Teller, gemacht aus Blättern, gereicht. Darauf wurden uns süße Linsen und Reis serviert, der mit den Fingern gegessen wird. Wir waren gerührt und bedankten uns herzlich. Die Gastfreundschaft der Nepalesen ist wirklich etwas ganz Besonderes. Die Kinder umzingelten uns und ich durfte, und sollte sogar, alle fotografieren! Ein Mann bat mich regelrecht darum und setzte sich extra in Pose – als er das Ergebnis auf dem Display sah, freute er sich wie ein Kind zu Weihnachten. Wir waren einfach nur happy, wieder in Nepal zu sein und so schönes Wetter zu haben.

Essensausgabe :-)
Essensausgabe :-)

Am Ende des Abstiegs wartete noch ein kleiner Wasserfall auf uns (Devi`s Falls)– Highlight ist dabei ein Wunschbrunnen, in den man Münzen werfen muss. Wenn die Münzen dabei auf einer kleinen Statue im Wasser liegen bleiben, geht der Wunsch in Erfüllung. Das Ganze ist gar nicht so einfach und ich hing geschlagene 30 Minuten über dem Becken, um die Technik der Einheimischen zu studieren. Trotz dessen gelang es mir am Ende nicht, die Münzen richtig zu platzieren. Das Wasser machte den Tauchgang der Münze unvorhersehbar. Sie wirbelte immer wieder hin und her, um die Statue dann ganz knapp zu verfehlen. „Und was wird nun aus meinem Wunsch???“ fragte ich mich. Nach dem Mittagessen besichtigten wir noch den Bindya-Vasini-Tempel, den bekanntesten Hindu-Tempel der Stadt und bummelten über den örtlichen Bazar. Auch hier fanden überall Straßenfeste zum Neujahr statt, und wieder wurden wir herzlich eingeladen, mitzufeiern.

Ausgelassene Stimmung zum Neujahrsfest
Ausgelassene Stimmung zum Neujahrsfest

Den Abend in Pokhara verbrachten wir dann ganz standesgemäß beim Italiener. Pokhara hat nämlich dutzende Pizza-Restaurants. Wir stopften uns mit Hühnerbrust, Kartoffelbrei und Möhren voll – auf einheimische Essens-Experimente haben wir zur Zeit irgendwie keine richtige Lust mehr. Immer wieder erwischen wir uns in den vergangenen Tagen, wie wir von deutschen Fleischer-Theken voll von Hackepeter, Cabanossis, Fleischsalat und Aufschnitt träumen. Aber da müssen wir leider noch ein paar Wochen durchhalten und nicht mal die „German Bakery“ in Pokhara konnte uns das kulinarische Heimweh nehmen. Ich weiß jetzt schon, dass der erste Besuch beim Bäcker und Fleischer zu Hause eine einzige Völlerei werden wird! Schon komisch, dass die Dinge, die man mit am meisten auf Reisen vermisst (neben der Familie und den Freunden natürlich) ganz banale sind, wie eine stinknormale Käseschnitte von Oma!

Diese Trucks finden sich überall in Nepal
Diese Trucks finden sich überall in Nepal

Nach 2 Tagen Toskana-Feeling in Pokhara ging es für uns weiter nach Lumbini, dem Geburtsort Buddhas. Unser Hotel auch hier ein kleines Juwel: Eine winzige Lodge mitten in einem riesigen Garten. Dafür hatten wir uns die Stelle, an der Buddha geboren wird, weitaus aufregender vorgestellt. Den Bodhi-Baum, unter dem alles geschehen ist, gibt es längst nicht mehr, dafür hat man an der Stelle ein einfaches steinernes Gebäude errichtet, in dem alte Mauerreste von früheren Klöstern aufbewahrt werden. Dafür wird der am nächsten stehende Bodhi-Baum euphorisch gehuldigt. Dutzende Pilger liegen und sitzen drum herum, dazwischen Mönche, während einer von ihnen via Megafon Mantras in den Himmel betet. Na gut, das hatten wir uns jetzt wieder mal etwas spiritueller gedacht, ohne das Heiligtum des Buddhismus an dieser Stelle beleidigen zu wollen. Ich hätte dann doch lieber an der Originalstelle einen neuen Baum gepflanzt, irgendwie hätte ich das greifbarer und schöner gefunden. Buddha selbst übrigens, an dieser Stelle kurz zur Erläuterung aufgeführt, wurde als Bürgerlicher Siddharta Gautama, Sohn eines Königs geboren. Nach seiner Geburt unter besagtem Baum wandelte er sieben Schritte auf Lotusblüten. Im Alter von 29 Jahren entsagte er jeglichen materiellen Werte und lebte fortan mehrere Jahre in Askese und später in tiefer Meditation. Mit 35 gelang ihm schließlich, wieder unter dem Bodhi-Baum, die Erleuchtung, er wurde zum Buddha, dem „Erwachten“ und Begründer des Buddhismus.

Bodhi-Baum mit Gebetsfahnen
Bodhi-Baum mit Gebetsfahnen

Von Lumbini führte uns die Reise dann schlussendlich in den Chitwan-Nationalpark (Chitwan = Das Herz des Dschungels), das Natur-Wahrzeichen Nepals. 2 Tage ganz im Zeichen der Tierbeobachtung erwarteten uns: Vögel, Elefanten, Nashörner und vielleicht sogar Tiger hatte man uns prophezeit. Nach unseren ersten in Namibia gesammelten Safari-Erfahrungen sollten wir hier das komplette Gegenteil erleben: Dschungel pur anstelle von Wüste. Bereits am ersten Abend ging es auf zu einem Dschungel-Walk, mit uns eine super nette indische Familie mit kleiner Tochter, die wir sofort ins Herz geschlossen haben. Die Tour führte uns zwei Stunden durch dichtesten nepalesischen Urwald – außer ein paar riesigen Haufen gab es jedoch noch keine Tiere zu sehen. Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichten wir den Fluss, an dem alles für den Sundowner eingedeckt war. Herrlich chillig standen Liegestühle herum, dazu Café del Mar Mucke und Cocktails – Puro Beach Feeling in Nepal. Das aktuelle nepalesische Neujahrsfest sollte heute seinen Höhepunkt erreichen und passenderweise hatten Sasis Freunde zu einer kleinen Party am Fluss geladen. Wir wurden natürlich prompt mit dazu gebeten und fanden uns wenig später inmitten von tanzenden Nepalesen die bei ausgelassener Stimmung einen Whiskey und Gin nach dem anderen becherten – da durften wir natürlich nicht ablehnen. Bei ein paar Chilischoten, Knabbereien und noch mehr Alkohol wurden wir einfach als Teil der Familie mitgefeiert. Ein toller Abend!

Der letzte nepalesische Sonnenuntergang im Jahr 2067
Der letzte nepalesische Sonnenuntergang im Jahr 2067

Am nächsten Morgen hieß es dann super zeitig aufstehen. Direkt nach dem Frühstück wartete eine ein-stündige Kanufahrt auf dem Fluss auf uns. Im Einbaum paddelte man uns durch den Nationalpark, um uns eine magische Morgenstimmung, nichts als Stille, gespickt mit ein paar Vogelstimmen und hin und wieder ein paar Krokodile am Ufer. Wieder an Land hatten wir das Glück, die Elefanten-Aufzuchtstation besuchen zu dürfen. Und das Besondere hier: Aktuell gibt es Elefantenzwillinge zu bestaunen. Man muss dazu sagen, Zwillingsgeburten sind bei Elefanten ausgesprochen selten! Eine kleine Sensation also! Die beiden Jungbullen sind inzwischen ca. 30 Monate alt und hielten ihre Mutter ganz schön auf Trab. Der nächste Dschungel-Walk führte uns dann zu diversen Wasserlöchern – leider auch hier ohne Erfolg. Bis auf etwas Wild und noch mehr Vögel, hielten sich die größeren Tiere weiterhin vor uns versteckt. Am Ende wartete dafür ein Besuch eines Tharu-Dorfes. Die Menschen leben hier noch dermaßen ursprünglich, nur in einfachsten Holzhütten, das man sich schon etwas daneben vorkommt, im Jeep durch`s Dorf chauffiert zu werden. Nach dem Mittag dann jedoch das Highlight unseres Aufenthaltes im Chitwan-Nationalpark: Die Elefantensafari. Auf dem Rücken der riesigen Tiere ging es ab in den Urwald, und zwar mitten in den Busch, nicht wie in Namibia auf der Straße. Durch die Elefanten konnten wir unmittelbar ins Dickicht eintauchen und hatten natürlich von deren Rücken eine viel bessere Sicht. Und ja, natürlich fühlt man sich nicht zuletzt auch ein ganzes Stück sicheres, falls vielleicht ja doch ein Tiger um die nächste Ecke kommt. Das Glück war uns am Ende zwar nicht vergönnt, dafür hatten wir das großartige Erlebnis, Panzernashörner bei Tag zu sehen. Mitten auf einer kleinen Lichtung graste eine Mutter mit ihrem Baby. Unser Elefant konnte ganz dicht heranlaufen, wir waren nur etwa 2 Meter von ihnen entfernt und beide ließen sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. Der Wahnsinn! Diesen Moment werden wir wohl ewig in unserem Gedächtnis behalten.

In 5 Fahrtstunden ging es nun gestern zurück nach Kathmandu. Entlang des Trisuli-Flusses wieder Bergdörfer und Landschafspanoramen. Noch eine letzte Nacht in Thamel und wieder sind 3 Wochen weg, wieder 2 Länder abgehakt. Man merkt, dass sich unsere 6 Monate Reise dem Ende nähern. Immer schneller rennen die Tage dahin, gerade waren wir noch in Hanoi, jetzt fliegen wir schon wieder nach Delhi. Let`s go India!

 

Alle weiteren Pics gibt`s hier.

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Do

07

Apr

2011

Namaste – Ich grüße das Göttliche in Dir!

Nein, wir sind noch nicht in Indien. Dafür aber in dem kleinen unscheinbaren Land oben drüber, Nepal.

Das meist so völlig untergeht und maximal bezüglich schwieriger Trekkingtouren im Fokus von Reisenden steht. Sehr zu Unrecht, finden wir. Denn Nepal hat viel mehr zu bieten, als die Annapurna-Umrundung und das Everest-Basecamp. Nepal ist einfach unglaublich. Die perfekte Mischung aus Kultur, Religion, Natur und faszinierenden Menschen. Noch nie haben wir so einen spirituellen Ort besucht, noch nie so viele mit Hingabe gläubige Menschen gesehen.

Om...
Om...

Nach dem wir uns nach ausgiebiger Recherche dafür entschieden haben, Nepal mit eigenem Fahrer auf einer geführten Privatrundreise zu erleben, können wir uns nur immer wieder zu unserer Entscheidung beglückwünschen. Alleine die örtlichen Gegebenheiten (Verkehr, Straßenzustand, Beschilderung, öffentliche Verkehrsmittel) hätten uns sicher viel Zeit und Nerven geraubt. Aber so können wir dieses beeindruckende Land ganz entspannt erkunden. Dank der hervorragenden Organisation unseres kleinen Veranstalters, werden wir jeden Morgen pünktlich am Hotel abgeholt und abends wieder abgesetzt. Dazwischen ein Highlight am anderen. Tempel, Stupas, Pagoden, Paläste – Orte, wie Patan, Bhaktapur und die Altstadt von Kathmandu mit ihren Durbar Squares geben einem das Gefühl, in die Geschichte einzutauchen. Die üppigen Gebäude in den 3 für Nepal typischen Bauarten wurden hauptsächlich zwischen dem 14. und 18 Jahrhundert errichtet und zählen heute zu den UNESCO Weltkulturerbestätten. Dazu die farbenfrohe Mischung der vielen in bunte Saris gehüllten indischen Frauen, den Wanderheiligen (Sadhus) und der fröhlichen Kinder, machen Nepal zu einem ganz besonderen Ort.

Durbar Square in Patan
Durbar Square in Patan

Sofort haben wir uns wohl gefühlt, auch wenn es im Hotel 12 Stunden am Tag keinen Strom und meistens auch kein warmes Wasser gibt. Für dieses Land nimmt man das gerne in Kauf. Nepal ist nach Brasilien das wasserreichste Land der Welt – trotzdem gelingt es aufgrund der andauernden schwierigen politischen Lage und der ständig wechselnden Regierung nicht, Investoren für Stromerzeugung anzuziehen. Nepal ist auch ein Ort der Widersprüche. Die Menschen auf dem Land sind reicher als in der Stadt, das Kathmandu-Tal ist so fruchtbar, das ganze Familien ausschließlich von eigenen Produkten aus der Landwirtschaft leben können. Und der Überschuss wird auf den Märkten verkauft. Dagegen wird die Stadt überschwemmt von Müll, die Flüsse sind voll von Abwässern und Unrat, Menschen sitzen am Straßenrand und sortieren Abfall, um sich Brauchbares herauszufischen, daneben werden neue Gebäude errichtet, die Eigentumswohnungen für schlappe 120.000 € beherbergen werden. Es gibt zwar eine städtische Müllabfuhr, jedoch noch kein Recycling-System. Vieles steckt noch in den Kinderschuhen. Und trotzdem wächst die Bevölkerung unaufhörlich. Viele Inder kommen nach Nepal, versprechen sich hier ein besseres Leben als Schuhmacher, Schmied oder Friseur. Alleine das Kathmandu-Tal fasst jetzt bereits 1,5 Millionen Einwohner. Die Städte Kathmandu, Patan und Bakthapur verschmilzen miteinander, Bauen boomt.

Alleine Kathmandu hat bereits 700.000 Einwohner
Alleine Kathmandu hat bereits 700.000 Einwohner

Daneben diese unglaublich gläubigen Menschen, die vielen Klöster. In Nepal ist es Pflicht, dass Familien mit 3 Söhnen den mittleren in ein Kloster schicken müssen. Dort wird er zum Mönch ausgebildet, bis zur Pubertät, dann kann er entscheiden, ob er gehen und eine Familie haben oder bleiben möchte. Die Kinder beginnen so bereits mit 4 Jahren den Unterricht. Diese Mischung aus Buddhismus und Hinduismus ist so besonders. In Nepal gibt es 33 Millionen verschiedene Gottheiten, dazu weitere Halbgötter. Manche Gläubige kennen jede einzelne mit Namen. Überall hängen Bilder von Reinkarnationen in verschiedenen Gestalten. Die alten Häuser und Pagoden sind geschmückt mit aufwendigsten Holzschnitzereien der Gottheiten. Der Glaube ist allgegenwärtig. Alleine die Stupas, das Sinnbild für Nepal mit ihren weißen Kuppen und den allsehenden Augen Buddhas (linkes Auge: Mitleid, rechtes Auge: glücklich, drittes Auge: Weisheit und die Nase ist dem Alphabet der Newaris entnommen und bedeutet "eins"), umweht von tausenden Gebetsfahnen (blau für den Himmel, weiß für die Wolken und die Reinheit, rot für das Feuerelement, grün für das Wasserelement und gelb für das Erdelement), dem Gesang der Mantras (OM Mani Padme Hum – das wohl bekannteste und am häufigsten rezitierte Mantra des Avalokiteshvara, des Buddhas des Mitgefühls. Übersetzt lautet es etwa: "Kleinod in der Lotosblüte") und dem Duft der Räucherstäbchen. Im Uhrzeigersinn muss man die Stupas umrunden, an den Gebetsmühlen drehen. Dabei immer eine unrunde Anzahl berücksichtigen.

Boudhanath - die zweitgrößte Stupa der Welt
Boudhanath - die zweitgrößte Stupa der Welt

Es gibt so viel zu lernen. Jedes Lebewesen ist heilig. Tauben werden gefüttert, Affen sind Stammgäste in den Tempeln und nicht zu vergessen die Kühe, die überall frei herumlaufen (gerne auch während der Rush-Hour auf der Hauptverkehrsstraße). Denn jedes Tier, egal ob Regenwurm, Ratte oder Hausschwein könnte die Reinkarnation eines verstorbenen Verwandten sein. Buddhisten und Hindus leben so in der Regel streng vegetarisch. So ist auch das Sterben in Nepal keine traurige Sache, da fest davon ausgegangen wird, dass man sowieso wiedergeboren wird. 7 Stufen gibt es bis zur Erleuchtung (Achtsamkeit, Weisheit, Tatkraft, Freude, Beweglichkeit, Konzentration und Gleichmut), während der jeweiligen Lebenszeit sammelt man Karma-Punkte, je nach dem was für ein guter Mensch man war, darf man sich darauf freuen, in einer höheren Stufe wiedergeboren zu werden. Die Bestattungen sind so eine feierliche Zeremonie, bei der nicht nur Familienangehörige anwesend sind. Im Pashupatinath, dem größten hinduistischen Heiligtums Nepals (hier wird der Gott Shiva als Herr alles Lebendigen verehrt), finden die Bestattungen am Bagmati Fluss statt. Die, die es sich leisten können, treten hier ihre letzte Reise an. Man sagt, wer hier bestattet wird, gelangt auf direktem Weg zur Erleuchtung, ins Nirvana, da das Wasser des Flusses heilig ist. Auf einzelnen Steinaltären werden Scheiterhaufen errichtet. Bevor der Leichnam auf den Scheiterhaufen gelegt wird, wird er zuerst noch in den Fluss getaucht, bzw. mit dem Wasser bespritzt. Nachdem der Leichnam auf den Scheiterhaufen gelegt wurde, wird er vom Brahmanen noch einmal mit Holz und Stroh bedeckt. Danach umschreiten die Verwandten den Leichnam fünfmal im Uhrzeigersinn als Zeichen für die fünf Elemente Wasser, Erde, Licht, Luft und Äther. Dem ältesten Sohn fällt anschließend die Aufgabe zu, den Scheiterhaufen anzuzünden. Er legt dazu in einem feierlichen Akt eine brennende Fackel auf den Mund des Toten. Nach dem der Leichnam vollständig verbrannt ist, wird die Asche dem Fluss übergeben. Als wir nach Pashupatinath kommen, haben sich bereits hunderte Schaulustige um den Fluss herum eingefunden und auch wir werden Zeugen unserer ersten Leichen-Verbrennung. Der Rauch weht bis zu uns herüber und ich muss mich abwenden, als der Tote Feuer fängt. Noch lange habe ich sein Gesicht vor Augen.

Totenverbrennung am Bagmati (Quelle: Internet)
Totenverbrennung am Bagmati (Quelle: Internet)

Zurück zu den heiligen Tieren, die dagegen durchaus geopfert werden. In einem Tempel, eine Autostunde von Kathmandu entfernt, findet jeden Dienstag und Samstag ein großes Opferfest zu Ehren der Göttin Kali statt. Dakshin Kali gehört zu den bedeutendsten hinduistischen Opferstätten des Kathmandutales. An den Hauptopferungstagen pilgern so Scharen von Hindus in ihren festlichsten Gewändern dahin um Kali durch ein Blutopfer milde zu stimmen. Sie lassen sich segnen, waschen sich mit heiligem Wasser und bringen Opfergaben, von Obst über Blumen bis hin zu Hähnen und ganzen Ziegen. Das Bild ist gewöhnungsbedürftig, Menschen die Schlange stehen, um ein Tier sterben zu sehen. Der Schlachter macht es kurz und schmerzlos: Wie am Fließband nimmt er den Kopf des Tieres zurück und schneidet ihm binnen wenigen Sekunden den Hals durch, bis das Blut auf das Kultbild Kalis spritzt. Den Körper bekommt die Familie gereinigt wieder mit, als Festessen. Der Kopf verbleibt als Opfergabe im Tempel. Geschockt muss ich mich abwenden, das Frühstück macht sich bemerkbar. Doch das gehört ebenfalls zur Religion. Tiere symbolisieren auch die menschlichen Eigenschaften und Schwächen. Eine Ente zum Beispiel Faulheit, eine Ziege sexuelle Begierde. Opfert man ein Tier, soll die Schwäche so von einem genommen werden.

Segnung im Dakshin Kali
Segnung im Dakshin Kali

Dann lassen wir uns doch lieber wieder durch die Altstadtgassen in Kathmandu treiben. Überall bunte Teppiche und Gebetsketten. Eine Hommage an zerfurchte, verlebte Gesichter, die Geschichten erzählen. Geschminkte Kinder als Schutz vor bösen Geistern und Hexen. Mitunter sind wir hier die Besonderheit, man bittet uns freundlich um ein Foto. Das geschieht dann ganz feierlich, wie bei einer Art Staatsbesuch eines Politikers. Mit Händeschütteln und formellem Blick. Überall ein freundliches Namastee. In einem ganz besonderen kleinen Lokal um die Ecke unseres Hotels können wir all die kulinarischen Köstlichkeiten, die Nepal zu bieten hat, verkosten. Angefangen von Momos (Teigtaschen gefüllt mit Yak-, Hühnchenfleisch oder Gemüse), ganz klassisch Dal (Linseneintopf) oder Paneer (frittierter Hüttenkäse). Dazu gibt es Reiswein in Mengen, der es so in sich hat, dass schon ein winziger Schluck einem einen wohligen Drehwurm im Kopf verursacht. Dazu einheimische Tänze, wir sollen mittanzen und finden uns inmitten bunter Kostüme und freudigen Nepalesinnen, springen beschwipst von einem Bein auf`s andere und staunen über die Geschwindigkeit der wechselnden Choreografien.

Alte Frau in Kathmandu
Alte Frau in Kathmandu

Und last but not least sind da natürlich die Berge. Schon die Fahrt raus aus der staubigen Stadt ein Erlebnis: Die Straßen auf dem Land voller Kühe und bunter Trachten. Menschen sitzen vor ihren Häusern, Frauen stricken, Busse, vollbesetzt bis zum Dach kommen uns entgegen. Die winzige Stadt Nagarkot, im Nordosten von Kathmandu, eingebettet in terrassenförmige grüne Hügel, im Rücken den Himalaya. Wer wird nicht schwach, wenn er im Licht der aufgehenden Sonne die Gipfel sieht, unseren ersten Achttausender, der daliegt, wie hingegossen, getaucht in goldgelbe Farbe mit einer weißen Kuppe. Da wird man plötzlich ganz klein, findet sich wieder der gnadenlosen gigantischen Wucht der Natur ausgesetzt. 1,60 gegenüber 8.000 Metern???

Sonnenaufgang über Nagarkot - über den Wolken der Himalaya
Sonnenaufgang über Nagarkot - über den Wolken der Himalaya

Nepal ist viel mehr als Worte, und da Bilder dieses Land am besten beschreiben können, heute eine besonders große Bildergalerie unserer ersten Woche. Seht es mir nach, aber Nepal ist eine einzige Fundgrube an traumhaften Fotomotiven. Ich liebe jedes einzelne Foto.

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