Hue, Hue, wir fahren nach Hue (und in die verbotene Stadt)

Ich gebe es zu: Die vergangenen Tage in Sapa haben mich rückwirkend ganz schön fertig gemacht. Ich, mit meinem stark ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, tue mich immer verdammt schwer damit, das Unglück anderer Leute zu verdauen. Das spukt mir dann gut und gerne für eine halbe Ewigkeit durch den Kopf und lässt mir keine richtige Ruhe. Aber was kann man tun? Immerhin kann ich nicht alle armen Kinder dieser Welt retten. Aber vielleicht eines oder zwei? Vielleicht doch zu Hause mal eine Patenschaft abschließen? Ich gebe auch zu: Ich mag Angelina Jolie nicht besonders. Seit dem sie Brad Pitt Jennifer Aniston ausgespannt hat, ist sie bei mir unten durch. Man mischt sich nicht in bestehende Beziehungen ein! Dennoch, immerhin hat sie mit ihren Adoptionen Kindern eine Chance auf ein gutes Leben gegeben, was sie vielleicht sonst nicht gehabt hätten. Das kann man jetzt sehen wie man will, von wegen: Lieber spenden als adoptieren. Lieber die Kinder in ihren Familien vor Ort lassen. Aber was ist, wenn da keine Familie ist? Oder, wie wir es leider zum Teil in Vietnam erlebt haben, die Eltern ihre eigenen Kinder oftmals nur als Mittel zum Zweck des Geldverdienens verwenden? Dann doch lieber adoptieren? Das schlimmste ist – Touristen werden sich nie ändern. Erst neulich habe ich ein paar Rentner gesehen, die Kindern gegen Geld Postkarten abgekauft haben. Es mag der gute Wille sein, der dahinter steht, aber genau das ist falsch! Wie soll es jemals besser werden, wenn es bereits an der nötigen Aufklärung mangelt? Okay, jetzt habe ich mich etwas in Rage geredet – wir haben uns jetzt jedenfalls angewöhnt, den Kindern wenigstens eine Banane zuzustecken, wenn man schon den traurigen Augen nicht nachgeben darf.

 

Von Hanoi ging es also per Nachtzug weiter in Richtung Hue. Weit aus weniger luxeriös als nach Sapa, aber immerhin annehmbar. Nach einem relativ entspannten Tag in der Hauptstadt mit etwas Sightseeing (One Pillar Pagoda, Literaturtempel) – meine zweiLieblingsfotos dieses Tages möchte ich gleich Mal hier präsentieren: -

Mein #1 Shot in Vietnam - Straßenfriseur in Hanoi
Mein #1 Shot in Vietnam - Straßenfriseur in Hanoi
Mittagspause
Mittagspause

fielen wir relativ schnell in unsere Zug-Kojen und auch schnell in einen tiefen und festen Schlaf. Der Morgen dann eine wundervolle Überraschung: Sonne und blauer Himmel. Zum ersten Mal in Vietnam! Gespannt harrten alle Zuggäste an den Fenstern der Dinge, vorbei ging die Fahrt an Reisfeldern, hübschen Häuschen, Palmen und roter Erde. Auch die Ankunft in Hue, der alten Hauptstadt, eine kleine Atempause: Endlich mal keine Horden von Taxi-, Rikscha- und Motobike-Fahrern, die sich auf einen stürzen, sobald man das Bahnhofsgebäude verlässt. Und schlau wie wir sind, fahren wir ja jetzt nur noch mit den weiß-grünen Taxen – die haben nämlich einen fairen Taxameter und bescheißen zu 90 % nicht. Die Fahrt durch die Stadt ging entlang des Parfüm-Flusses (der Name sollte nicht allzu wörtlich genommen werden, geschweige denn dazu verleiten, ein kleines Bad zu nehmen) direkt zum Hotel. Mit dem Namen „Romance“ wollten wir nach 4 Nächten bibbern, frieren und Zugabteilen endlich mal wieder einen Hauch von Hygiene, Warmwasser und einem richtigen Bett spüren. Der Check In erfreulich – angenehme Zurückhaltung des Personals, was Verkaufsgespräche angeht, statt dessen ein kühler Begrüßungstee und der direkte Gang in unser Zimmer. Für 30 € (für uns zusammen wohlgemerkt) ein Traum. 2 Tage nun also, um die Highlights der Stadt zu erkunden. Den ersten Tag haben wir glatt weg mal damit verbracht, das Badezimmer zu blockieren und im riesigen Bett mit sauberen (!) Bezügen eine ordentliche Mütze voll Schlaf nachzuholen.

Blick über Hue von der Aussichtsterrasse im 11. Stock unseres Hotels
Blick über Hue von der Aussichtsterrasse im 11. Stock unseres Hotels

Dafür stand der zweite Tag ganz im Zeichen vom Sightseeing, zu Fuß ging es vom Hotel aus über den Fluss zunächst zur Dieu-De-Nationalpagode. Okay, Hue macht es einem nicht gerade leicht, seine Sehenswürdigkeiten ausfindig zu machen, es gibt wirklich kaum Beschilderungen und die kostenlosen Stadtpläne von den Hotels sind ein Witz, dafür gibt es aber auch kaum Touristen! Die erste Pagode hatten wir daher gleich mal ganz für uns allein. Wir streiften durch den Garten und bestaunten das farbenfrohe Gebäude mit den tief rosa blühenden Azaleen – nebenan streiften Mönche umher. Überall auch hier präsent das Symbol der Swastika – im Buddhismus und Hinduismus ein Jahrtausende altes Zeichen für Gesundheit und Glück – auf den ersten Anblick zwar etwas gewöhnungsbedürftig, weil man es leider auch mit dem Hakenkreuz-Symbol assoziiert – aber dieses Zeichen kennen wir schon aus den Tempeln in Japan und Hongkong.

Ich mag Räucherstäbchen - hier in der Nationalpagode
Ich mag Räucherstäbchen - hier in der Nationalpagode

Von der Dieu-De-Pagode führte unser Weg dann weiter in Richtung Zitadelle – auf der ruhigeren Nordseite des Flusses gelegen. Die Zitadelle – umgeben von einer 10 km langen und 2 m dicken Mauer, beherbergt innerhalb einer weiteren, inneren, Zitadelle (ebenfalls umgeben von einer Mauer) das Herzstück von Hues Geschichte, die alte Kaiserstadt. Ihr müsst Euch vorstellen: In die Zitadelle führen 10 Tore, jedes an einer Brücke, die so schmal ist, dass alle nur als Einbahnstraße genutzt werden, weil gerade Mal ein Auto hindurchfahren kann. Wenn nun aber über 100 Motorroller auf einmal durch dieses winzige Tor fahren wollen, dann passiert Folgendes: Sie bleiben stecken. Genau. Und das für ein paar Minuten, bis sich der ganze Knäuel dann Zentimeter für Zentimeter mit Gehupe und Getöse langsam weiterbewegt. In jeder deutschen Stadt wäre hier längst eine Massenpanik ausgebrochen, nicht aber unter Vietnamesen. Da ist immer noch Zeit für eine Zigarette oder ein Plausch am Handy – während man den Nebenmann versucht abzudrängen, versteht sich. Und wir mussten da zu Fuß durch!!!

Nur keine Panik!
Nur keine Panik!

Endlich in der inneren Zitadelle angelangt, war ich einfach nur überwältigt. André hat ein neues Wort dafür kreiert – er bezeichnet mich als „tempelgeil“. Okay, ich konnte noch nie an einem Tempel einfach vorübergehen, ohne hineinzusehen, und hier war ich nun in meinem Element. Daher kann ich gut damit leben. In der inneren Zitadelle, der Kaiserstadt, befinden sich nochmals über 100 Gebäude in immer weiteren ummauerten Komplexen. Leider sind aufgrund des Vietnam-Krieges nur noch ca. 20 vorhanden, ein Teil wird restauriert, von den meisten sind nur noch Steinreste sichtbar. Das Ganze in einer einmaligen Mischung aus Alt und Neu, wunderschöne Tore, Malereien, gemauerte Erker und Fenster – alleine jeder Mauerdurchbruch weist ein anderes Muster auf. Dazwischen Seen, Pagoden, Pavillons, Tempel, Arkaden – ein Traum für jeden Archäologen. Es ist wie ein einziges Märchen. Jedes Mal, wenn ich durch eines der riesigen Tore schritt, öffnete sich das nächste geheimnisvolle Areal, mal mit Lianen überwachsen und Unkraut überwuchert, dann mit farbenfrohen wundervollen Blumenornamenten und Drachenmotiven. Hunderte Parks im Park, ein einziges Labyrinth, das mich gefangen genommen hat und nicht mehr losließ.

Hinter diesen Türen werden Märchen war
Hinter diesen Türen werden Märchen war

André hat sich dann irgendwann im Schatten niedergelassen, während ich, mit der Kamera bewaffnet, umherstreifte um immer neue Wege zu erforschen, noch mehr kleine Tempel zu entdecken und mich völlig in der Zeit verlor. Was hätte ich dafür gegeben, in der Zeit zurückreisen zu können und das Treiben im 18. Jahrhundert zu erleben. Meine Fantasie ging mit mir durch und malte sich Kaisergeschichten aus. Märchen von einsamen, hübschen Prinzessinnen, die sich in riesigen Gärten verliefen, ehe sie von tapferen Prinzen gerettet wurden.

Zu welcher Prinzessin führt dieser Gang?
Zu welcher Prinzessin führt dieser Gang?

Von der verbotenen Purpurstadt ist dafür leider nicht viel übrig. Zu massiv waren die Zerstörungen im Krieg. „Verboten“ deshalb, weil sie als Residenz des Herrschers nur von Eunuchen betreten werden durfte. Dafür gibt es immer noch genug weitere, alle völlig verschiedene Anlagen, die jede für sich sehenswert sind und Beschäftigung für viele Stunden geben. André jedenfalls hatte nach 2 Stunden genug von meinen permanent entzückt, entrückten Ausrufen „Oh“ und „Ah“ und „Ist das schön hier“ und „Hast Du das gesehen?“ – der Hunger trieb uns ins nächste Taxi und zur letzten Station, der Thien-Mu-Pagode. Der 21 Meter hohe, achteckige und siebenstöckige Turm ist das Wahrzeichen Hues und steht auf einer kleinen Anhöhe über dem Parfüm-Fluss. Da es bereits später Nachmittag war, waren wir auch hier fast allein (wenn man von den kitschigen Souvenir-Buden und ein paar ziemlich penetranten Bootsanbietern absieht). Selten habe ich so viele Mönche und Nonnen gesehen, viele hatten verschieden farbige Kutten an – von hellblau, über orange, rot bis hin zu braun. Es herrschte ein geschäftiges Treiben im Tempel und immer wieder hallte der Klang der Glocke über das Gelände.

Junger Mönch in der Thien-Mu-Pagode
Junger Mönch in der Thien-Mu-Pagode

Bis zum Hotel nahmen wir uns dann wieder ein Taxi – ein ganzer Tag Fußmarsch reichte – und da hatten wir noch nicht einmal die ganzen spannenden Kaisergräber in der weiteren Umgebung von Hue besichtigt. Aber diese mussten wir aufgrund der Entfernungen leider außen vor lassen (wer mag, sollte sich hier ein Taxi nehmen, die Beschilderung ist zu schlecht, um sich selbst auf den Weg zu machen! Besonders sehenswert muss das Grab von Khai Dinh sein!). Noch ein nettes Abendessen in unserem neuen Stammcafé „Hot Tuna“ um die Ecke –dabei mal wieder ein paar Bevölkerungsstudien über Menschen und Motorroller in Vietnam und schon neigte sich auch unser Hue-Aufenthalt wieder seinem Ende entgegen und wir mussten schweren Herzens unser „Deluxe“-Hotelzimmer wieder hergeben.

3 sind (lt. vietnamesischen Ansichten) nicht genug auf einem Motorroller
3 sind (lt. vietnamesischen Ansichten) nicht genug auf einem Motorroller

Die restlichen Pics gibt`s hier.

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