Nachtzug nach Saigon – eine Abrechnung

Das Reisen nicht immer das reinste Zuckerschlecken ist, haben wir ja schon ein paar Mal festgestellt. Dass es einen auch mitunter an seine Grenzen bringt, und man sich fragt: „Wozu das alles?“ – diese Situationen kennen wir jedoch erst so richtig seit Vietnam. Okay, liebe Leser, ihr werdet jetzt sagen, dass haben die sich ja schön selbst eingebrockt, die Suppe, und die müssen sie nun auch selbst auslöffeln, und damit habt ihr auch durchaus recht. Immerhin ist dies die Reise unseres Lebens und es war uns durchaus vorher klar, dass in diesen 6 Monaten nicht nur rosarote Wattewölkchen am Himmel schweben - nur warum man für viel Geld auf sich nimmt, in einem fernen Land am Existenz- und Standardminimum zu leben, dass wissen wir gerade selbst nicht mehr so richtig. Ja, okay, eine fremde Kultur zu bereisen, hat immer etwas Aufregendes. Wenn sich dabei aber gelegentlich Abgründe auftun, die einen die positiven Seiten beinahe vergessen lassen, dann sollte man eigentlich ganz laut und schnell „Stopp“ rufen. Doch was ist, wenn es kein Stopp gibt? Was, wenn man da durch muss, weil es keinen anderen Weg gibt? Ich habe lange überlegt, ob ich den folgenden Artikel einstelle. Ich habe ihn unmittelbar, ehrlich, aus der Situation heraus geschrieben. Er ist hart und sehr emotional und wer nur die Zuckerstückchen Vietnams kennenlernen möchte, sollte jetzt schnell weiter, zum nächsten Artikel, scrollen, aber für all die, die auch die ehrliche, unbeschönigte Seite dieses Landes sehen wollen, hier ist sie. Irgendwann, wenn wir wieder zu Hause sind, werden André und ich wahrscheinlich darüber lachen, aber in diesem Moment war mir nur zum Heulen zumute (Und entschuldigt bitte meinen Kesselflicker-Jargon, wenn ich in Rage bin, neige ich gern mal zu Übertreibungen):

 

Ich sitze im Zug von Nha Trang nach Saigon, es ist 22 Uhr und die wahrscheinlich schlimmste Nacht meines Lebens. Dies ist das Protokoll einer Nacht, wie sie kaum schlimmer hätte sein können, zumindest für mich. Es mag sein, dass Andere dies nicht so empfinden mögen, wenn sie diesen Artikel lesen, und sagen: Da gibt es doch noch viel Schlimmeres. Aber wer zu Hause auf dem gemütlichen Sofa sitzt hat gut lachen. Wer nicht schon einmal in einer solchen Situation war, der kann kaum nachvollziehen, was so in einem vorgeht. Wir haben uns wieder einmal den Nachtzug auserkoren, weil wir uns einmal Übernachtungskosten sparen wollten. Schlimmer als die vergangenen beiden Nächte im Zug und die Tagfahrt konnte es uns kaum treffen, dachten wir zumindest. Und wieder lehrte uns Vietnam, das es eben doch noch eine Steigerung nach unten geben kann. Zwar hatten wir uns bereits auf das Schlimmste gefasst gemacht, aber dass das dann auch eintreten würde, war uns nicht klar. Unser Zug sollte planmäßig um 20:33 Uhr abfahren und tatsächlich, pünktlich war er. Wir stiegen in unseren Waggon und suchten nach der Kabine – immerhin lagen dieses Mal nicht schon andere Leute in unseren Betten. Statt dessen bereits 3 Vietnamesen in den zwei unteren. Die oberen Betten waren natürlich weder unbenutzt noch frisch bezogen – immerhin gab es von der Schaffnerin ein „frisches“ Laken. Auf meine Frage nach neuem Bettzeug schüttelte sie nur unwirsch den Kopf. Wir „bezogen“ unsere Betten, dabei wurde uns natürlich das ganze Ausmaß der versifften um die 100 Jahre alten Matratze bewusst und versuchten uns, so gut es eben ging, für die Nacht einzurichten. Hinter André krabbelten ein paar Käfer an der Wand entlang, die er tapfer mit dem Klopapier vernichtete. Gerade als ich das Licht ausmachen wollte, fing die alte Frau unter uns plötzlich an zu husten. Es wurde schlimmer und schlimmer, sie röchelte und jammerte die ganze Zeit und wir beide waren felsenfest der Überzeugung, dass sie uns jeden Moment im Abteil abkratzen würde. Das würde morgen früh in Saigon ein Durcheinander mit der Polizei geben. Dann zog sie immer wieder die gesamte Spucke hoch und entleerte sich würgend in einen kleinen Eimer auf dem Tisch neben ihrem Bett. Wir reden hier von einer 4-Bett-Kabine im Nachtzug, das heißt von 4 m² mit 5 Menschen auf engstem Raum!!! Ich bin eh schon erkältet und es ist nicht gerade angenehm, der Alten die ganze Zeit zuzuhören. Selbst Ohropax und Augenklappe versagten uns hier ihren Dienst. Ihre Tochter, die mit ihr auf der 90 cm Pritsche schläft, rieb ihr irgendwann den nackten Rücken mit Eukalyptus ein, doch es half alles nichts. Sie röchelte weiter. Lautstark. Ich saß auf dem oberen Bett und versuchte mich zusammenzureißen. Das alles konnte doch nur ein schlechter Traum sein. Doch der sollte noch 6 Stunden anhalten. Immerhin funktioniert heute die Klima – man muss ja versuchen, überall das Positive zu suchen. Dafür bläst sie dermaßen, dass ich im Rollkragen-Pulli dasitze. Irgendwann reichte mir das Ganze und ich zog samt meiner benutzten, schmutzigen, uralten Bettdecke auf den Gang um. Nun sitze ich hier auf dem dreckigen Fußboden, mein ganzer Körper juckt, wahrscheinlich habe ich mir schon Flöhe von den widerlichen Betten eingefangen. Ich beginne Vietnam abgrundtief zu hassen. Dieses Land ist der allerletzte Scheiß, mit seinem ganzen Müll, den Menschen, die spucken und kotzen und auf die Straße urinieren. Die zwischen ihrer Pisse sitzen und essen und sämtliche Überreste wieder auf die Straße werfen. Die nicht in der Lage sind, in ihre besch… Klos zu pinkeln, so dass ringsherum eine riesige Pfütze schwimmt, in die man unweigerlich treten muss, wenn man selbst in die Öffnung treffen will. Ich hasse es, mir ständig und überall die Hände desinfizieren zu müssen, bevor ich etwas anfasse, weil einfach alles so verdammt mistig ist, in diesem Land. Ich habe keinen Bock mehr, mit Einheimischen Kranken auf engstem Raum zusammengepfercht die Nacht zu verbringen. Reisen soll den Horizont erweitern und toleranter machen – im Moment bin ich nur voll von Abscheu und Ekel! Wer Vietnam als schön empfunden hat, der ist ganz offensichtlich nie mit dem Nachtzug gefahren. Klar, im klimatisierten Reisebus von A nach B chauffiert zu werden und nur die schönen Seiten des Landes gezeigt bekommen, das hat schon was. Aber ich habe genug von negativen Grenzerfahrungen. Ich habe genug von heruntergekommenen Hotelzimmern mit Schimmel an den Wänden und verdreckten Handtüchern. Ich habe es satt, überall der dumme Tourist zu sein, den man ständig und überall versucht, über`s Ohr zu hauen. Den man permanent für blöd zu verkaufen versucht und der, wenn man sich wehrt, dann auch noch bedroht wird (dem Omaner hat man tatsächlich mit seinem Tod gedroht, als er einen Ausflug bei einer Reiseagentur stornieren wollte)! Es mag Traveller geben, die auf solche Erfahrungen stehen. Die dann hinterher zu Hause stolz davon berichten, in der hinterletzten Absteige für einen Dollar gepennt zu haben. Ich gehöre jedenfalls nicht dazu. Ich mag ein sauberes Zimmer, mit einem sauberen Bett und einem sauberen Klo. Ich weiß, wir haben uns das Alles selbst ausgesucht – aber von diesen Bedingungen war nicht die Rede. Wie kann ein Land, das offensichtlich vom Tourismus lebt, Touristen so behandeln? Wie können Menschen selbst permanent dazu beitragen, ihre eigenen Straßen zu verdrecken? Ich habe keine Antworten darauf und weiß nur eines: Mir reicht es. Ich habe versucht, diesem Land eine Chance zu geben, ihm etwas Positives abzugewinnen, es schönzureden. Wir haben uns alle erdenkliche Mühe gegeben, auf die Menschen zuzugehen. Jetzt ist es genug. Ich will nach Hause!

 

Das Gute zum Schluss als Nachtrag: Ja, wir haben die Nacht alle überlebt. Auch die alte Frau. Wir haben die Zähne zusammengebissen und irgendwann erlöst einen die Müdigkeit von all dem Elend. Als wir am Morgen wach wurden, war Saigon und ein sauberes Hotel schon greifbar. Ich sage nur so viel – sämtliche Sachen wanderten erst einmal in die Reinigung und der Körper unter die Dusche. Nach einer ganzen Flasche Duschbad und einer halben Flasche Shampoo sah die Welt schon wieder ein klitzekleines bisschen besser aus.

Eine fertige Jana nach einer desaströsen Zug-Nacht (der Platz zwischen Kraxe und Kissen ist übrigens mein Schlafraum)
Eine fertige Jana nach einer desaströsen Zug-Nacht (der Platz zwischen Kraxe und Kissen ist übrigens mein Schlafraum)

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Kommentare: 4
  • #1

    Martin D. (Donnerstag, 01 Mai 2014 18:08)

    Bei euch ist es wirklich besser,ihr fliegt nie wieder nach Vietnam.
    Wie naiv muss man sein,um zu glauben,man ist hier etwa in Europa.
    Ich bin mittlerweile das dritte mal hier inVietnam,immer mit dem Zug unterwegs,kann das ganze aber ueberhaupt nicht nachempfinden,was ihr da von euch gebt.
    Ps:Tut euch selbst einen Gefallen und fliegt nie nach Indien.Ihr wuerdet am selben Tag wieder abreisen !!!

  • #2

    Daniel Meyer (Donnerstag, 21 Mai 2015 15:21)

    Danke für diesen ehrlichen Bericht. Jap ich habe auch schon so gefüllt wie du. Und nach einer Dusche und ein wenig Schlag sieht die Welt wieder anderst aus.
    Allerdings denke ich halt doch das hinter der Fassade des Lächelns und der where are you from Masche, auch viele fleissige Vietnamesen gibt. Viele Völker, ein Land, viele unterschiede.. und nap.

    Viele Grüsse aus Hoi an

  • #3

    Anja (Freitag, 04 September 2015 11:01)

    Hallo Jana,
    sehr emotional geschrieben und völlig nachzuvollziehen. Diese Erfahrung ist uns auch nicht fremd. Wir selbst sind gerde in Vietnam und schon in allen Zugklassen mit unseren Kindern ( 2 und 5) gereist und haben die Softsleeper eher als Luxus empfunden. Glaub mir, die Züge in Russland sind um einiges härter. Kranke Leute gibts überall - einfach Augen zu und durch.
    Vietnam gehört auch definitiv nicht zu meinen Lieblingsländern, was allerdings an den vielen Menschen liegt, die vom Luxustourismus verdorben wurden und keinerlei Interesse mehr daran haben, ihre Kultur zu wahren und diese Fremden näherzubringen (außer gegen nen Haufen US $).

  • #4

    Flavioso (Montag, 15 August 2016 08:13)

    Das Land kann sehr gut auf dich verzichten und braucht solche Menschen wie dich nicht. Seit 15 Jahren bereise ich das Land (mit meiner vietnamesischen Frau). Von Nord bis Süd habe ich nahezu alles gesehen und erlebt, was das Land zu bieten hat. Es ist wohl allseits bekannt, dass für gewünschten hohen Standard wohl auch dementsprechend das nötige Geld investiert werden muss. Es ist paradox, dass du einerseits hohen Standard brauchst, jedoch dich aus Kostengründen für eine Zugfahrt statt einer Übernachtung im Hotel entschieden hast. Dass du hier über eine arme alte kranke Frau herziehst, zeugt nur von deinem armseligen, gewissenlosen und menschenverachtenden Charakter, der sich noch nicht mal mit 60 Flaschen Duschgel reinigen lässt. Die kranke alte Frau hatte leider nicht die Wahl, zwischen Übernachtung im Hotel und Zug so wie du zu entscheiden. Tja, leider trifft es auf der Welt immer die Falschen. Dein Bericht attestiert dir, dass dein Horizont wohl weitaus begrenzter ist als du glaubst. Ich befürchte auch das Bereisen anderer Länder wird daran nichts ändern. Spar dein Urlaubsgeld für Shampoo sowie Reiseführer und bleib zuhause, das ist komfortabler, du Hohlbirne. Ich hoffe, dass ich nie einem Menschen wie dir begegnen muss, und das hätte ich mir gerne auch für die arme alte kranke Frau im Zug gewünscht.